Interview zwischen lu-x.de und Ludwig Schmidtpeter über die Arbeit krypta 1.0

 

lu-x.de: Herr Schmidtpeter, Sie arbeiten sonst mit Fotografie und sitzen viel am Computer - nun zeigen Sie uns einen Haufen Sperrmüll aus Ihrer Dachkammer. Wo sind die funktionierenden Bildschirme und Beamer zur Präsentation Ihrer Arbeit?

LS: Ich wollte mal raus aus dem Rechnerdasein und was Haptisches, Plastisches machen, bevor ich mich in digitalen Staub auflöse. Das hat folgende Gründe:

Ich war das ständige Gefeilsche um irgendwelche High Tech Gerätschaften leid. Leute, die mit neuen Medien arbeiten, sind manchmal mehr damit beschäftigt, die Geräte aufzutreiben, als an Inhalten zu arbeiten. Das Medium ist die Botschaft - es geht also gar nicht um das, was in der Hi-TecKiste drinsteckt, sondern darum, dass da so eine Kiste steht.

Ich habe beschlossen, bei dieser Arbeit das Problem der Geräte zu thematisieren - das kann man am besten, indem man etwas (z.B. eine Workstation) hinstellt, die nur den Anschein einer Funktion erfüllt - dazu benötigt das Ding keinen Strom. Es sollte symbolisch funktionieren - eher als Ort der Meditation.
[Es regt mich, nebenbei bemerkt übrigens total auf, dass es noch keinen Tatort gibt, bei dem das Nicht-Funktionieren der Neuen Medien thematisiert wird. Im Gegenteil, man gibt sich konform. So sieht es doch nicht in Wirklichkeit aus. Oder sind dies bereits die Verstrickungen von Product Placement und Produktionskosten?]

Anders ausgedrückt: Ich wollte weitgehend auf elektrischen Strom verzichten, weil mir klar geworden war, dass ich wirksamer medienkritisch arbeiten kann, indem ich aus dem Rechner als "funktionierendes Universum" aussteige. Also simuliere ich mit verschiedenen Hardwareteilen einen Rechner - als temporäres Objekt ohne Strom.

lu-x.de: Ihre Arbeit heißt krypta 1.0 - warum?

LS: Eine Krypta ist üblicherweise ein Gewölbekeller unter einer Kirche. Der Wortstamm hat zu tun mit dem Verborgenen. Das mathematische Fachgebiet Kryptographie ist wieder populär geworden, weil zunehmend geschützte persönliche Daten verschlüsselt über abhörbare Kanäle übertragen werden [Internet]. Es geht also um das Verbergen - das Verschlüsseln von empfindlichen Daten zur Übersendung an einen Empfänger der einen Schlüssel benötigt, um diese Daten wieder lesen (dekodieren) zu können.

lu-x.de: Beantworten Sie bitte ohne Umschweife meine Frage.

LS: Es gibt alles, was eine moderne Krypta braucht:
einige Gräber, die bereits gehoben wurden, dann ist da natürlich noch die Grabungs- und Medienrecyclingstelle (die ich aber gern im Dunklen stehen lassen möchte, weil hier noch gearbeitet wird.) Eine Krypta braucht eine braucht eine starke zentrale Achse und ein paar Grabnischen. Eine Krypta hat eine flache Decke.

Der Raum befindet sich aber nicht unterhalb einer Kirche sondern unterhalb eines prominenten Barockgebäudes in der Stadt Saarbrücken - im sogenannten Studentenkeller des Stengelhauses. Es ist eine säkulare Krypta. Es geht hier also nicht um Gott sondern um einen selbstgeschaffenen Platzhalter mit Machbarkeitsphantasien [Technik]. Auf einer anderen Ebene geht es um die Frage, was sich im Keller einer Kunsthochschule als Rumpelkammer ansammeln könnte.

Meine Krypta soll zudem eine Kontextverschiebung erzeugen. Wo befinde ich mich? Zu welchem Anlass? Was ist hier erlaubt und was nicht? Ist das hier eine Rumpelkammer oder ist das hier eine Ansammlung von Readymades? Aber was machen die Readymades, wenn die Ausstellung vorbei ist? Bleiben sie Readymades oder werden sie wieder rückgeführt in ihren ursprünglichen Kontext [Abstellkammer]. Befinde ich mich in einem Labor, in dem nichts funktioniert?

Und was ist mit der Dokumentation - das ist doch Teil des Ganzen - letzlich ist es das, was übrig bleibt, wenn alle nach Hause gegangen sind - und wir wissen heute nicht mehr, was davon nun erstunken und erlogen ist.

Wenn irgendwo Irritation gefordert ist, dann doch wohl in der Bildenden Kunst. Das funktioniert aber bestenfalls immer nur einen Augenblick.

Eine Krypta 1.0 ist eine Krypta aus dem ausgehenden 20. JH [wir reden hier über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren - und das bedeutet den Sprung von der CD zur DVD, von der 8Gb zur 250 Gb Festplatte von 98 zu XP von ISDN zu DSL, etc]. Das bedeutet auch, dass es Polaroids und Dias auf Film und Film überhaupt und Schwarz-Weiß Papier und alles, was die Fotografie vor ihrer digitalen Erscheinungsform ausgemacht hat - nicht mehr lange geben wird. Die Krypta ist ein Requiem auf die Technologie von gestern.

Die Lebenszyklen der Medien verkürzen sich. Ich mag das Alter der 3,5 Zoll Diskette nicht genau bestimmen, schätze aber etwa von 1980 bis zum Jahr 2000. Das der CD etwa von 1985 bis zum Jahr 2004 - auch, wenn sie noch eine Weile lesbar sein wird. Die DVD ist gerade dabei, von immer billiger werdenden Festplattenspeichern überrollt zu werden. Ich bin wirklich gespannt, wann ich meinen fünf Jahre alten Rechner verschrotten kann, nicht etwa, weil er nicht mehr funktioniert, sondern weil er aufgrund des Fortschritts nicht mehr kompatibel ist zu zeitgenössischen Geräten und Anwendungen. Dann kann man sich entscheiden, ob man fortan ein technologischer Dinosaurier sein möchte, oder aber Geiz ist Geil ruft und weiter konsumiert.

lu-x.de:
Sind sie ein Fortschrittsfeind?

LS:
Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Menschen dadurch glücklicher werden, dass fortan Maschinen die Arbeit für sie verrichten.
Aber natürlich versuche ich, die eigene Arbeit weiter zu verändern - möglicherweise zu verbessern. Deswegen behalte ich mir auch vor, eine krypta 2.0 zu machen oder auch nur eine Beta Version. Nichts ist beständiger als der Wandel, heißt es immer im Prospekt.

lu-x.de:
So ganz klar ist mir die Sache aber immer noch nicht.


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temporäre Ansichten [Stand 3.3.2005]:

1. Greife stets auf Material zurück, mit dem Du Dich umgibst, und das in Hülle und Fülle vorhanden ist. [Schrott und Pixel]
2. Ein Objekt soll symbolisch funktionieren [das Medium als Geste der Dazugehörigkeit].
3. Kontextverschiebung: Das Dinghafte des Werkes verwest im Prozess [frei nach Heidegger]
4. Mikro- und Makrostrukturen: eine Reihenhaussiedlung als kollektives Motherboard
6. Das Leben ist nur ein temporärer Zustand [nennen wir es mal Fluxus]
7. Eine gute Arbeit ist wie ein guter Wein: erst ganz gut, manchmal später richtig gut - aber irgendwann kippt er um [und sie auch]. D.h. eine Arbeit muss reifen, aber man darf sie nicht falsch behandeln, sonst verkürzt sich Ihre Lebensspanne. So soll aus einer Million Fotos das Beste herausgefischt werden - wie bei den japanischen Karpfen - aber nicht jeder findet Geschmack an einem guten Wein. Und irgendwann stirbt der Karpfen sowieso und der Wein wird zu Essig.
8. Wo ist das Werk? Es gibt kein Werk. Es gibt nur einen Prozess. Was ich tue, tue ich jetzt und hier - und gleich mache ich etwas anderes - aber es wird mit meiner Geschichte zu tun haben.
[Unangreifbarkeitsklausel]


Was mann nicht erhellen kann, das muss mann verdunkeln. [L. Obskurevic]