Eine Woche
mit Rad und Bus: Andalusisches Hinterland und Küste
Die Sierra Nevada sieht man sich am besten von gegenüber
- von der Sierra de la
Contraviesa - an, wenn man mit dem Fahrrad und Gepäck
unterwegs ist. Eine Woche vor Ostern gibt es dort Mandelblüten
und schneebedeckte Berggipfel und höchstens alle zwanzig
Minuten ein Auto.
Nur der Müll. Er wird in guter Mittelmeeranrainertradition
einfach weggeworfen, einfach verklappt, den Berg und den Bach
runter. Matratzen, Kühl- und Wohnzimmerschränke,
Haus- und Giftmüll begleiten die andalusischen Wege.
Spanien ist ein großes Land. Trinkwasser gibt es im
Supermarkt.
Auf dem Land leben die Leute oft neben ihrer privaten Müllkippe
und in der Kleinstadt Pinos Puente streiken die Mülleute,
weil sie genauso viel verdienen wollen, wie ihre Kollegen
in der 12 km weiter gelegenen Stadt Granada. Sie streiken
in der semana santa, wenn überall üppige
Prozessionen laufen und so manche Frau die Straße kehrt.
Das Dorf erstickt nach einer Woche Streik im Müll. Es
stinkt zum Himmel.
Besonders problematisch ist Chemie Sondermüll, der bei
der andalusischen Agrarproduktion anfällt [Gemüseanbau
wäre ein Euphemismus]. Der wird einfach in das durch
Aufstauung ausgetrocknete Flussbett [rio chico], das ins Meer
führt, geworfen, während sich 20 km weiter in Roquetas
de Mar Touristen die Birne wegknallen. Die Küste zwischen
Malaga und Almeria ist die häßlichste, die ich
je gesehen habe. Es war gut, diese Strecke mit dem Bus entlang
der Küstenautobahn [E-15] zu fahren.
Die Küste ist nicht von Natur aus häßlich.
Es muß dereinst, als es noch Fischerdörfer gab
und keine Flugzeuge und keine Baukräne, einmal sehr schön
gewesen sein. Doch davon sieht man heute wenig:
Meist mäandert die Autobahn zwischen weißen Plastikbahnen
umher - Christo sollte sich das unbedingt mal ansehen. Man
könnte das Ganze als Landart bezeichnen, wenn die Angelegenheit
nicht so traurig wäre. Die Sache mit den Paprika. Wie
naiv war ich eigentlich, als ich noch vor kurzem im Supermarkt
den Dreierpack Paprika 'Herkunftsland: Spanien' zum Superschnäppchenpreis
erstand? Das gibt es fortan nicht mehr.
Zwei Exildeutsche Rentner (beide Unternehmer i.R.) in einem
nagelneuen Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen, hatten mich
20 km vor der Küstenstadt Adra gewarnt: Jetzt
kommt nur noch Plastik. Doch ich verstand erst, als
ich es selbst sah. Über Quadratkilometer hinweg schimmern
weiße geometrische Flächen in einer Berglandschaft.
Es sind Gewächshäuser für Paprika und Tomaten,
die mit Plastikbahnen bedeckt sind, um ein ideales Klima zu
schaffen, um den Ertrag weiter steigern zu können. Bis
zu fünf Ernten pro Jahr werden bei Tomaten nach niederländischem
Modell erzielt.
Ein großes Schild weist auf die Finanzierung einer besser
ausgebauten Straße durch die Europäische Union
hin. Und so sehr es mich grundsätzlich freut, dass die
EU Strukturförderprogramme bereithält, so sehr ärgert
es mich, wenn ich sehe, was damit konkret gemacht wird.
Auf dieser Straße werden einmal die LKWs rollen, die
unsere Paprika in den Aldilidlrealglobusplus bringen und der
300er Mercedes des Besitzers der Paprikaproduktionsstätte,
der sich eine kleine Oase inmitten des von ihm inszenierten
Horrors mit Palmen und Schüssel schuf. Wohlan - die Villen
der Paprikaproduzenten liegen genauso zwischen ihren Produktionsanlagen,
wie die Hütten der Arbeiter. Es gibt viele Gastarbeiter
aus Littauen mit rot geränderten Augen, die sich derzeit
in den spanischen Gewächshausern für ein paar Euro
in der Stunde ihre Gesundheit ruinieren.
Es riecht nach Gift zwischen den Gewächshäusern.
Kanister überall, auch im ausgedorrten Flusslauf. Vielleicht
ist es besser so, damit diese Kanister nicht auch noch ins
Meer gespült werden.
Der Boden wird desinfiziert, Fungizide und allerlei Spezialdüngemittel
werden eingesetzt.
In Puente del Rio (bei Adra, etwa 40 km westlich von Almeria)
befinden sich zwei Campingplätze inmitten von Gewächshäusern,
direkt am Meer: Las Vegas und La Habana. Wer nachts einmal
einen Spaziergang durch die Zufahrtswege
der Paprikaproduktion machen will, sollte sich diese Übernachtungsmöglichkeit
nicht entgehen lassen.
Bei Tag sollte man lieber vorsichtig beim Fotografieren sein
- man fürchtet negative Schlagzeilen für den Wirtschaftssektor
Agrarproduktion. Die Absätze könnten sinken, die
Littauer könnten arbeitslos werden.
Die Polizei kümmert sich nicht um die erbärmlichen
Umweltzustände, die lokale Regierung ignoriert Beschwerden
der Campingplatzbesitzer, die um das Wegbleiben von Kundschaft
bangen. Ein Gespräch mit einem älteren deutschen
Camper vor Ort zeigt aber, dass diese Sorge unbegründet
ist. Ihm geht es nur darum, seinen Bauch in die warme Mittelmeersonne
zu halten.
Na dann: Guten Urlaub!
In the long run, we are all dead [J.M. Keynes]
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